Zwischengedanke

Ich bin der Letzte mit offenen Ohren. …und manchmal wünschte ich, ich könnte sie endlich schließen. Aber selbst Stille macht mir inzwischen Angst.

Kapitel 1: Der Selfmade Millionär & sein emotionaler Support Hamster

Direkt neben mir: Ein Typ, der lautstark über seine „Dubai Deals“ telefoniert, während er eine ja! Brezel wie ein Eichhörnchen hortet. Sein Pulli hat noch das TK Maxx Schild dran, aber er erklärt jemandem namens „Markus“, warum Steuern zahlen für Loser ist. Plötzlich starrt er mich an: „Sie sehen aus wie ein Macher! Wollen Sie in meinen Crypto NFT Business-Club?“
Ich sage: „Nein, ich seh nur aus wie jemand, der noch nicht geflohen ist.“

Neben ihm: Eine Frau mit einem „emotionalen Support Hamster“ (laut Schild). Das Tier trägt ein Mini Shirt mit der Aufschrift „Therapie ist teuer“. Sie flüstert dem Tier zu: „Guck nicht den Schuhauszieher an, Schatzi. Das ist Trauma Material.“ Der Hamster starrt mich an, ich schwöre, er rollt mit den Augen. Sogar Nagetiere haben hier mehr Selbstrespekt als wir.

Kapitel 2: Der Sitzplatz-Krieg (Episode 387)

Zwei Menschen kämpfen um Platz 62B. Der Zug ist LEER. „DAS IST MEIN PLATZ!“ „NEIN, MEINER!“ Ich schlage vor: „Wie wär’s mit einem Duell? Schere, Stein, Papier, aber mit Ohrfeigen.“ Sie ignorieren mich. Einer setzt sich drei Reihen weiter und starrt den anderen an wie ein Mörder in einer Telenovela. Ich klatsche leise Beifall. Niemand bedankt sich.

Kapitel 3: Der Schuhauszieher & Mein Racheakt

Natürlich… der Typ, der SOFORT seine Schuhe auszieht. Seine Füße dampfen wie frisch gekochte Waldpilze. Er grinst: „Entspannung pur!“ Ich grinse zurück und klebe heimlich ein Kaugummi unter seinen Sitz. Zehn Minuten später: „WAS ZUM…?!“ Er springt auf, seine Socke klebt am Boden. Karma, mein Freund. Karma. Sein rechter Fuß zittert. Nicht vor Kälte. Sondern als hätte er die Kontrolle über seinen Körper längst aufgegeben. Vielleicht zieht er die Schuhe aus, weil er das letzte bisschen Gefühl spüren will.

Kapitel 4: Die TikTok Terror Truppe

Drei Mädchen drehen 45 Minuten lang einen 3 Sekunden Tanzclip. „Nochmal!“ „Oh no, oh no, oh no no no no“ dröhnt aus ihrem Handy. Ich frage: „Könnt ihr nicht einfach einmal richtig tanzen und dann aufhören?“ Sie starren mich an, als hätte ich Zucker in ihren Sprit gestreut.
Eine flüstert: „Boomer.“ Ich flüstere zurück: „Ich bin Millennial, ihr Opfer.“ Später führen sie einen Exorzismus Tanz gegen „böse Zug Energien“ auf. Eine schreit: „Omg, der Typ da guckt so weird!“ Sie meint mich. Ich hebe eine Packung Salz und kreise sie über meinem Kopf:
„Das hier ist für die Dämonen. Und das…“ , ich halte mein DB-Ticket hoch, „…ist für meine verlorene Würde.“ Sie blocken mich. In echt. Mein größter Triumph. Sie tanzen gegen Dämonen, und ich frage mich, ob sie wissen, dass sie selbst längst Teil eines sind.

Kapitel 5: Der Alien Philosoph

Plötzlich fragt mich der Typ neben mir: „Glauben Sie an Außerirdische?“ Ich sage: „Ja, ich sitze gerade neben einem.“ Er nickt ernst: „Ich wusste es! Die Regierung…“ Ich unterbreche:
„…vergiftet uns mit 5G? Klar. Aber warum tun sie das über DB-WLAN? Das funktioniert doch eh nie.“ Er weint fast vor Erleuchtung.

Kapitel 6: Der Snack Selbstzerstörer Jetzt mit Tiefgang

Vor mir kauft sich jemand eine Familienpackung Chips.
Akt 1: Hoffnung  „Heute nur eine Handvoll!“
Akt 2: Verzweiflung „Warum tue ich mir das an?“
Akt 3: Kapitulation  „Fuck it, ich bin die Familie jetzt.“

Ich schiebe ihm heimlich ein Feuchttuch rüber. Er nickt dankbar. Seine Hände zittern leicht.
Vielleicht hat er seit Tagen niemanden mehr besucht. Vielleicht sind Chips heute sein letzter Trost. Er kaut leise. Ich höre die Einsamkeit mitknistern.

Kapitel 7: Der Atmer Die Endschlacht

Irgendwo im Zug atmet einer einfach zu laut. Ich atme demonstrativ zurück, aber lauter.
Wir sind jetzt in einem Atem Wettkampf. Er stoppt. Ich gewinne. Mein einziger Sieg heute.
Doch dann… Verstärkung: Ein Schnarcher, ein Huster, ein Summer. Es klingt wie ein Industrie Grunzen Konzert. Ich erhebe mich, atme tief ein und stimme ein mit einem dramatischen Opernton. Alle schauen angepisst. Mission erfüllt.

Kapitel 8: Der Bahn Mitarbeiter, der keine Ahnung hat

Durchsage: „Äh… Umstieg in den… äh… Bus? Boot? Ich mein… Zug. Oder so.“ Alle starren ihn an.
Er zuckt mit den Schultern: „Wissen Sie was, fahren Sie einfach irgendwohin.“ Ein Mann schreit:
„ICH HABE EINEN TERMIN!“ Der Mitarbeiter seufzt: „Dann nehmen Sie halt ein Taxi. Oder ein Pferd.“

Kapitel 9: David Attenborough steigt ein

Plötzlich setzt sich Sir David Attenborough neben mich und flüstert ins imaginäre Mikro:
„Hier sehen wir den Homo Sapiens Deutschendis in seinem natürlichen Lebensraum, einem überfüllten ICE. Beachten Sie, wie das Männchen laut telefoniert, um Dominanz zu zeigen, während das Weibchen augenrollend ihr Buch liest. Ah! Und dort! Ein seltenes Exemplar: Der Schuhauszieher. Faszinierend, wie er soziale Normen ignoriert ein wahrer Überlebenskünstler.“
Ich weine vor Lachen. Niemand sonst bemerkt ihn. Bin ich wahnsinnig? Oder ist das die DB?

Kapitel 10: Team Building Hölle

Der Zug hält plötzlich auf offener Strecke. Durchsage: „Äh… technische Störung. Zur Überbrückung: Team-Building!“ Ein Bahn Mitarbeiter mit Krawatte zwingt uns, Eisbrecher Spiele zu spielen. „Nenne drei Fakten über dich, aber einer muss eine Lüge sein!“ Der Dubai Typ:
„Ich bin Millionär, ich hab ’nen Hamster, ich zahle Steuern.“ Alle zeigen auf „zahle Steuern“.
Der Mitarbeiter klatscht: „Wow! Ihr seid so gut im Teamwork!“ Ich würge ihn fast mit meinem Sitzkissen.

Kapitel 11: Der Blick nach draußen

Ein Reh steht am Gleisrand. Es schaut uns an. Ich beneide es. Es muss diesen Zug nicht ertragen.
Es steht still. Wir rasen. Vielleicht ist das der Fehler.

Kapitel 12: Das Streitgespräch

Frau (laut): „Das ist MEIN Platz.“ Mann (kalt): „Und das ist MEINE Geduld.“ Ich (flüsternd): „Könnt ihr beide einfach… nicht existieren?“ Frau (ignoriert mich): „Ich hab reserviert.“
Mann: „Ich hab eine innere Leere.“

(Stille. Der Zug fährt weiter.)

Kapitel 13: Der Moment, in dem ich mitweinte

Er weint. Nicht dramatisch. Nicht laut. Nur so ein Zucken im Gesicht. Der Chip Esser. Und ich, ich lache. Kurz. Gequält. Und dann spüre ich, wie es in mir selbst bricht. Ich will schreiben, aber die Worte verschwimmen. Ich lache noch einmal. Haltsuchend. Dann schiebe ich ihm die letzte Chipstüte hin und lege meinen Kopf ans Fenster. Heute bin ich kein Chronist. Heute bin ich einfach nur müde.

Epilog: Das Glück des Voyeurs

Man sagt, Reisen bilde. Ich sage: Reisen zerstört deine Hoffnung in die Menschheit, aber auf sehr unterhaltsame Weise. Und manchmal, ganz selten, sitzt jemand neben mir, der sagt: „Ich mag Ihre Art zu gucken.“ Dann nicke ich nur. Und denke: Vielleicht ist das hier doch nicht umsonst.

Epilog: Das Amen auf Gleis 13

Manchmal frage ich mich, ob das alles wirklich geschieht. Ob irgendwo eine geheime Kamera läuft. Oder ob die Realität einfach… ihren Verstand verloren hat. Doch dann höre ich wieder ein: „Entschuldigung, ist das hier Platz 62B?“ Ich drehe mich um. Der Dubai-Typ. Still. Ohne Telefon.
Sein Blick: leer. Ein halbes Nicken. Ich nicke zurück. Kein Wort. Kein Gag. Nur dieses Schweigen,
das nach etwas klingt, was früher mal Menschlichkeit war. Und ich weiß: Mein Dienst ist noch nicht vorbei. Ich bin der Letzte meiner Art. Der Letzte mit offenen Ohren.

Und solange der Zug rollt, wird jemand schreiben müssen. Über sie. Über uns. Über das Leben im ICE der Absurdität. Und diesmal schreibe ich nicht nur über sie. Sondern auch über mich.
Weil ich einer von ihnen bin. Ein Mensch im Übergang, zwischen Sitzplatz 62B und dem, was uns rettet.

Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.